Izabela Batsheva Dagan

 Izabela Batsheva Dagan

Izabela Batsheva Dagan, gebürtige polnische Jüdin, hatte keine einfache Kindheit: Sie überlebte den Zweiten Weltkrieg in Auschwitz und Ravensbrück. Nach dem Krieg wanderte sie nach Palästina aus und baute sich dort ein neues Leben auf. Ihre Erlebnisse verdrängte sie jedoch nicht, sondern schrieb viele Bücher und Geschichten. Als Pädagogin und Psychologin reist sie durch die Welt, um mit Kindern und Jugendlichen über ihre Erlebnisse zu diskutieren.

 

Ich heiße Izabela Batsheva Dagan, geborene Rubinstein. Mein Rufname ist Batsheva. Das ist ein hebräischer Name und bedeutet "sieben Jahre" alt. So hieß auch die Frau des biblischen Königs David, es ist also ein sehr wichtiger Name. Ich bin am 8. September 1925 in Łódź als achtes von neun Kindern zur Welt gekommen. Bei meiner Geburt hatte ich fünf Brüder - Janas, Wolf, Szajo, Hersz, Mordehaj - und zwei Schwestern - Anna und Gienia. Nach mir ist noch meine Schwester Sabina geboren worden.

Meine Mutter Fajga war Hausfrau. Mein Vater Szlomo Fiszel hatte eine kleine Weberei. Die ältere Schwester arbeitete in einer Bank. Die anderen Geschwister waren bei meinem Vater beschäftigt, und ich bin in die Schule gegangen. Ich war eine gute Schülerin und liebte die Schule sehr. Außerdem war ich Mitglied in einer sozialistischen und zionistischen Jugendorganisation Haschomer Hazair, auf Deutsch Der junge Hüter. In der Organisation war ich nicht besonders aktiv, mehr Zeit verbrachte ich mit dem Lernen. Einmal wurde in der Organisation eine Ausstellung über uns alle gemacht. Da hat man mein Foto in einen Primus hineingestellt und darunter stand: Prymusy do reperacji, das heißt auf Deutsch: Der Primus ist zur Reparatur. Solche Dinge vergisst man nicht.

Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verlief mein Leben ruhig. An meinem Geburtstag, am 8. September 1939, erreichte die deutsche Armee Łódź. Ich erlebte die Bombardierung der Stadt, wir hatten große Angst um unser Leben. Meine Eltern und Geschwister wollten nicht in Łódź bleiben, weil wir gehört hatten, dass dort ein Ghetto errichtet werden sollte. Das passierte auch tatsächlich 1940. Meine Geschwister Janas, Wolf, Szajo, Mordechaj und Anna flohen nach Russland. Mein Bruder Hersz war schon ein Jahr vor Kriegsausbruch nach Palästina ausgewandert. Er war Sportler. Meine ältere Schwester Gienia blieb mit uns, d.h. mit mir, meinen Eltern und meiner jüngsten Schwester Sabina in Łódź.

Bald wollte mein Vater nach Radom ziehen und wir verließen Łódź. In Radom wohnten unsere Verwandten. Mein Onkel lebte zwar nicht mehr, aber seine ganze Familie war da. Sie waren sehr wohlhabend, und wir kamen bei ihnen in einem kleinen Zimmer unter.

Zunächst kam ich mit meinem Vater nach Radom, meine Mutter und zwei Schwestern blieben noch in Łódź. Mein Vater machte sich Sorgen, wie er sie nach Radom holen sollte. Er hat dann einen deutschen Soldaten bestochen, der sie in Fässern auf einem Lastwagen zu uns brachte. Nun waren wir fünf zusammen. Die Familie meines Onkels besaß eine große Eisengießerei. Dort haben meine kleine Schwester und ich in der Küche gearbeitet.

Im Jahre 1941 wurde auch in Radom ein Ghetto errichtet. Das Leben dort war sehr, sehr schwer. Wir litten Hunger und hatten schreckliche Angst, denn jeden Tag wurde dort jemand erschossen. Wir hatten im Ghetto keinen Leader, der uns Beispiel geben und die Gemeinschaft zusammenhalten würde. Man hörte Gerüchte über Konzentrationslager, aber nichts Konkretes.

Die Deutschen haben als erstes die Schulen geschlossen. Ich habe darunter sehr gelitten, weil ich gern zur Schule ging. Wir haben dann geheimen Unterricht organisiert. Bei einer Familie lernten wir Mathematik, bei einer anderen polnische Literatur, bei der dritten Geografie und so weiter. Wenn wir in den Fenstern sahen, dass Soldaten vorbeikamen, haben wir unsere Schulbücher und Hefte unter dem Tisch oder unter den Betten versteckt. Sie durften nicht erkennen, dass da gelernt wurde.

Im Ghetto blieb ich Mitglied in derselben sozialistischen Jugendorganisation. Man hatte einen Führer aus Warschau zu uns geschickt, der die Gruppe neu organisieren sollte. Das war ein sehr intelligenter junger Mann von 20 oder 21 Jahren. Wir haben viele Gespräche mit ihm geführt. Im Auftrag meiner Organisation wurde ich im Jahre 1942 nach Warschau geschickt.

Ich wurde gewählt, denn ich sah nicht semitisch aus, hatte helle Augen und helle Haut und sprach perfekt polnisch, ohne jüdische Einflüsse. Ich sollte von Mordehaj Anielewicz, der später den Ghetto-Aufstand in Warschau anführte, die Jugendzeitung unserer Organisation nach Radom holen - das war mein Auftrag. Die Zeitung hieß Gegen den Strom, hebräisch Neget haserem. Sie war in Polnisch geschrieben, nur ihr Titel war hebräisch. Die Zeitung sollte die Jugend zum weiteren Widerstand ermuntern und motivieren. Mit Anielewicz haben wir auch über die Arbeit der Organisation gesprochen.

Ich bin also nach Warschau gefahren. Dort im Ghetto lebte eine Tante von mir mit ihren Kindern. Bei ihr habe ich mich aufgehalten. Es war gar nicht einfach, ins Ghetto hineinzukommen. Man musste das Passwort kennen. Es lautete: Szafa gra, auf Deutsch: Der Schrank spielt. Ohne das Passwort zu kennen, kam man nicht in das Ghetto. Ich bin durch ein Loch in der Mauer hineingekommen. Auf beiden Seiten der Mauer standen szmalcowniki, die Geld für das Überqueren des Lochs in der Ghettomauer verlangten. Das waren Polen auf der polnischen Seite und Juden auf der jüdischen Seite.

Ich habe das Warschauer Ghetto mit eigenen Augen gesehen. Es lebten viel zu viele Menschen dort. Es gab Rikschas statt Autos. Ich habe viele Leichen gesehen. Wer verhungert war, wurde mit einer Zeitung bedeckt. Darauf kam ein Stein, um die Zeitung zu beschweren. Zu essen bekam nur derjenige, der eine Lebensmittelmarke hatte. Es gab ein Lied, darin hieß es, man solle diese Bezugsscheine für Lebensmittel zurückgeben, wenn man stirbt. Die Leute haben auch die Scheine der Verstorbenen genutzt, um Brot zu bekommen.

Es ist mir unangenehm, von den schlechten Polen zu sprechen. Doch als ich das zweite Mal nach Warschau kam und im Ghetto war, wollte ich mit der Straßenbahn zurück auf die arische Seite fahren. Man konnte aus dem Ghetto mit der Straßenbahn herausfahren, musste nur unterwegs hineinspringen. Ich setzte mich in der Straßenbahn in die Nähe einer Frau mit zwei Kindern. Als der Schaffner kam und nach den Fahrkarten fragte, war ein junger Pole in der Straßenbahn. Er schaute uns in die Augen, zeigte auf die Frau, die Kinder und mich und sagte: "Żydówa, Żydowica" - das sind Spottnamen für Juden. Als wir die Bahn verlassen wollten, hat er mich festgehalten und gerufen: "Policja!" Ich wusste schon, dass er Geld wollte und weil mir mein Leben wichtiger war, habe ich einfach gefragt: "Wie viel willst du?" Ich gab ihm beinahe alles, was ich hatte und behielt nur das Geld für die Bahnkarte. Da ließ er mich los. Aber weil er mich aufgehalten hatte, hatte ich den Zug nach Radom verpasst und musste zehn Stunden am Bahnhof im Wahrschauer Vorort Praga auf den nächsten warten. Und dort wurden gerade die Warschauer Juden ausgesiedelt. Ich habe gesehen, wie man die Juden nach Treblinka schickte. Ich fühlte mich, als säße ich auf dem elektrischen Stuhl. Die deutschen Soldaten flirteten mit mir und fragten mich, was ich über das Judenpack denke. Ich habe abgewinkt und kein Wort gesagt.

Als ich in Radom ankam, wurden wieder alle am Bahnhof durchsucht. Die Deutschen suchten nach Juden. Ich hatte die Binde mit dem Davidstern in meiner Tasche versteckt. Hätten die Gendarmen den Stern gefunden, gäbe es mich heute nicht mehr.

Nach dieser zweiten Fahrt nach Warschau habe ich gesagt, dass ich das nicht mehr machen würde. Mein Leben war mir mehr wert.

In Radom gab es zwei Ghettos, ein kleines und ein großes. Wir wohnten im kleinen Ghetto, wo auch die Eisengießerei meines Onkels stand. Plötzlich, am 5. August 1942, begann die Aussiedlung der Juden aus dem kleinen Ghetto. Das war für mich ein furchtbar traumatisches Erlebnis. Mitten in der Nacht kamen die Soldaten von den Einsatzgruppen und befahlen, dass wir uns innerhalb von zehn Minuten mit kleinem Gepäck an einer bestimmten Stelle einzufinden hätten. Dort fand die Selektion statt. Die jungen Menschen sollten sich auf die eine Seite stellen, die älteren auf die andere - das waren auch meine Schwester Gienia und meine Eltern. Sie wurden nach Treblinka verschleppt, dort vergast und verbrannt. Ich bin mit meiner kleinen Schwester Sabina allein geblieben. Tage- und nächtelang habe ich geweint. Nach der Deportation lagen auf der Straße im kleinen Ghetto zerstreut Perücken, Brillen, Puppen und anderes Spielzeug. Anfangs hatten die ausgesiedelten Menschen noch Kraft, diese Sachen zu tragen, dann hat man sie weggeworfen oder sie sind hinuntergefallen. Ich sah, wie Soldaten das Bettzeug aus der Wohnung warfen, in der ich gewohnt hatte. Da nahm ich meine Schwester bei der Hand, und wir sind in das große Ghetto gegangen. Dort wimmelte es von SS-Leuten und Soldaten. Ich war froh, dass ich deutsch sprechen konnte. Sprachen sind für mich immer wie Schutzengel gewesen. Sie haben mir überall geholfen. Ich sagte, dass ich in der Eisengießerei gearbeitet hatte und weiter arbeiten wollte. Merkwürdigerweise konnten wir dort wieder in der Küche arbeiten. Man hat uns und andere Arbeiter jeden Tag in einem Wagen von großem Ghetto in die Eisengießerei im kleinen Ghetto gefahren.

In dem großen Ghetto war es noch schlimmer. Es ist sehr eng gewesen. In den Betten mussten so viele Menschen schlafen, dass man sich nicht der Länge nach hineinlegen konnte. In einem kleinen Zimmer lebten drei Familien.

Meine Schwester und ich haben überlegt, was wir tun könnten, um unser Leben zu retten. Da die Polen die Juden schon an ihren Augen erkennen konnten, wollten wir uns kein Versteck in Polen suchen. Ich habe ein Gedicht über diesen Blick geschrieben, das ich hier vorlesen möchte, weil es mehr sagt als alle anderen Erklärungen:

Der Blick

Die polnische Sprache
beherrschte ich, so reich sie war
und ohne Einsprengel jüdischer Mundart.

Meine Augenfarbe war grün,
meine Hautfarbe hell,
die Nase gerade,
glatt auch das Haar.

Was kennzeichnete mich also?
Der Blick!

Ich war nicht im Stande
die Angst in meinen Augen zu verbergen.
Ihre Traurigkeit ebenso wenig,
eine, die ich nie zuvor kannte.
Daher war ich Gefahr und
Belästigungen ausgesetzt.
Es war eine Traurigkeit,
erfüllt von Leid und Angst.
Angst um mein Leben,
vor den kommenden Ereignissen
und vor der Zukunft.

Ich entschied mich, aus dem Ghetto zu flüchten und zwar nach Deutschland. Meine Schwester Sabina blieb vorerst noch im Ghetto. Doch wir haben geplant, dass sie auch nach Deutschland kommt. Erst nach 20 Jahren habe ich in Israel von unseren gemeinsamen Freunden erfahren, dass die Deutschen sie erschossen hatten, als sie versuchte, das Ghetto zu verlassen.

Die Geschichte meiner Flucht aus dem Ghetto ist sehr verwickelt. Das Ghetto in Radom verließ ich im November 1942. Ich stieg auf einen Wagen, der außerhalb des Ghettos fuhr, ich bin dann hinunter gesprungen und hab mich in einer Ecke versteckt. Ich habe mir auch das Zeichen P angeschafft und getragen. Das war das Zeichen der Polen: ein P auf gelbem Hintergrund mit lila Kontur. Die Polen wurden ja auch verfolgt.

Eine polnische Freundin von mir wurde zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt und sollte beim Landgerichtsdirektor Studemund in Schwerin als Dienstmädchen arbeiten. Sie ist jedoch von dort weggelaufen und hat mir den Brief des Landesgerichtsdirektors und ihre Papiere gebracht. So sollte ich an ihrer Stelle mit ihren Dokumenten zu diesem Landesgerichtsdirektor gehen.

Ich fuhr ganz allein mit der Bahn zuerst nach Berlin. Bei mir hatte ich die Papiere meiner polnischen Freundin und den Brief, dass ich in Schwerin als Dienstmädchen bei diesem Landesgerichtsdirektor arbeiten werde. In mein Abteil setzte sich ein SS-Mann, er hatte einen Totenkopf auf der Mütze. Er schaute zu mir und sagte: "Na, Mädchen, Ausweis bitte." Ich habe ihm die Papiere meiner Freundin gezeigt. Er hat den Ausweis hin und her in der Hand gedreht und sagte: "Das kann man bei einem Hausmeister für einen Złoty kaufen." Aber ich habe gespürt, dass er mir nicht schaden wollte. Er hat mir nichts getan, sondern begleitete mich zu einer Berliner Adresse, die ich vom deutschen Treuhändler unserer Eisengießerei erhalten hatte. Wir fuhren mit der U-Bahn. Am Alexanderplatz zeigte er mir das Polizeipräsidium und sagte: "Wenn du etwas ausfrisst, wirst du dahin kommen." Und tatsächlich bin ich dort später zwei Wochen lang gewesen. Aber darüber noch später.

Ich habe bei diesem Landesgerichtsdirektor als Dienstmädchen gearbeitet. Ich hatte das ganze dreistöckige Haus zu reinigen. Ich muss lächeln, wenn ich daran denke, dass die Familie verwundert war, weil ich nicht in das propagierte äußere Erscheinungsbild einer Polin passte und dazu noch so einen intelligenten Eindruck machte. Die ganze Zeit habe ich jedoch mit großer Angst gelebt, dass jemand erkennen könne, dass ich eine Jüdin bin. Ich habe ein katholisches Gebetsbuch gehabt, ich kannte alle katholischen Gebete und sah wie eine sehr fromme Katholikin aus. Ich habe das alles gemacht, um mein Judentum zu verbergen. Zwei Mal in der Woche durfte ich ausgehen, ich hatte Glück, weil das Wetter immer so schön war. Da hat die Oma aus der Familie, bei der ich arbeitete, sogar einmal gesagt: "Das polnische Mädchen hat wohl einen Pakt mit dem Heiligen Petrus geschlossen, denn immer wenn sie einen freien Tag hat, ist das Wetter schön."

Doch nach einigen Monaten wurde ich denunziert. Die Denunziation kam aus Polen. Manche wussten, dass ich nach Deutschland gegangen war. Ich wurde von der Gestapo verhaftet und die nächsten Monate verbrachte ich in Gefängnissen in Schwerin, Güstrow, Neubrandenburg, Berlin, Breslau und Beuthen - in sechs Gefängnissen, und über jedes Gefängnis gäbe es viel zu erzählen. Die Leiterin des ersten Gefängnisses, eine Frau mit hochgesteckten Haaren, fragte mich, warum ich dort sei. "Ich bin Jüdin.", antwortete ich. Sie ist gleich einen Schritt zurückgetreten und hat mit mir nicht mehr gesprochen. In diesem Gefängnis waren Prostituierte, Diebinnen, Mörderinnen. Selbstverständlich wollte ich nicht sagen, wer ich bin und woher ich kam. Zum Glück war ich nur eine Nacht lang dort. Es war so schmutzig dort und gab unzählige Wanzen, Flöhe. Ich erinnere mich auch an eine Polin, die schwanger war. Sie wollte mit einem Ast das Kind abtreiben. Ich habe das gesehen.

In Güstrow befand sich das Gefängnis im Schloss. Da war ein Waschhaus. Im Jahre 2005 besuchte ich wieder Güstrow. Ich habe nach dieser Waschstube gesucht, aber das Gebäude gab es nicht mehr. Die Kleidung, die ich damals dort bekam, war komisch und stammte wohl aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Die Unterhosen waren unten offen. Ich trug auch ein Kopftuch. Dort bin ich an Scharlach erkrankt. Man rief einen Arzt. Der ekelte sich. Er nannte mich Aleksandra und gab mir keine Medizin. Sechs Wochen musste ich dort bleiben, damit ich niemanden ansteckte.

Dann kam ich nach Neubrandenburg. In der Zelle war ich mit einer Russin zusammen. Sie war verhaftet worden, weil sie einen deutschen Soldaten liebte. Sie weinte und klagte: "Was für ein Verbrechen habe ich begangen? Ich sitze, weil ich liebe." Sie wurde später zusammen mit mir nach Auschwitz verschleppt. In Neubrandenburg kam eines Morgens um 5.00 Uhr ein Schupo-Mann und brachte mir ein Stück Brot mit einem Ei. Er sagte: "Kopf hoch! Wir verlieren in Afrika!" Das sagte ein Deutscher! Ich war 60 Jahre später noch einmal in Neubrandenburg, von dort stammt die Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Ich habe dort die Vergangenheit gesucht, aber nichts gefunden.

Dann kam ich nach Berlin in das Gestapogefängnis am Alexanderplatz. Das war schon fast ein Luxusgefängnis, mit intelligenten Frauen. Wir haben über verschiedene Dinge gesprochen. Breslau war schrecklich. Schläge links und rechts, da habe ich mich unter einer Pritsche versteckt... Dann Beuthen und dann das Paradies Auschwitz. Nach Auschwitz kam ich am 25. Mai 1943, ich war damals 17 Jahre alt.

Über Auschwitz wusste ich, dass man dort hinein, aber niemals herauskam. Ansonsten habe ich gar nichts gewusst - nichts über die Krematorien, nichts über die Gaskammern. Ich war jung und arbeitsfähig, deshalb konnte ich der Selektion entgehen. Bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau war ich gut angezogen und hatte eine Gretchenfrisur. Dort sah ich riesige Gruben mit Stacheldraht, in dem Strom lief. An beiden Seiten der Lagerstraße standen weibliche Häftlinge. Sie sahen meine Haare und bedeuteten mir, dass sie abgeschnitten werden würden. Dann kam ich in die Sauna. Das war ein Raum, in dem die Zugänge in Häftlinge umgewandelt wurden, d.h. uns wurden die Haare geschoren und die Nummer eintätowiert. Ich bekam auch eine Lagerkleidung - es war die Uniform eines getöteten russischen Soldaten. Unterwäsche erhielt ich nicht. Auf dem Kopf trug ich einen weißen Lumpen, um die Glatze zu bedecken. Nach der Tätowierung der Nummer habe ich mit Finger und Speichel die Hand gestrichen. Die Nummer wurde dann ein bisschen verwischt, dass ich fürchtete, die Soldaten würden mich totschlagen. Doch schnell erfuhr ich, dass sie nicht wegzuwischen ist. Meine Füße musste ich mit Streifen eines jüdischen Gebetsschals umwickeln, und ich bekam zwei linke Holzschuhe.

Dann fand der Zählappell statt. In Auschwitz gab es am Tag zwei Zählappelle, einen um 5.00 Uhr morgens und einen um 17.00 Uhr. Die Aufseherin Irma Grese - eine hübsche, junge Frau - die aber schlecht wie die Pest und grausam war, fragte, ob nette Mädchen angekommen seien. Da zeigte man auf mich. Ich war aber kein nettes Mädchen mehr mit dieser Uniform und ohne Haare.

Geschlafen haben wir in einer Baracke, die ursprünglich für 60 Pferde genutzt wurde. Jetzt waren dort 800 bis 1000 Frauen untergebracht. Es gab dreistöckige Betten, auf jeder Pritsche schliefen acht bis zehn Frauen. Die Nächte verbrachte ich mit Frauen, von denen jede eine andere Sprache sprach. Umdrehen mussten wir uns alle zusammen. Auf dem Rücken zu liegen war ein Privileg, das konnte man nicht. Höchstens zwei Strohsäcke lagen auf einer Pritsche. Es gab auch nur zwei Decken. So hat man dort geschlafen.

Ich erinnere mich, dass in dieser Baracke eine deutsche Hebamme war. Sie wurde nach Auschwitz verschleppt, weil sie bei einer Frau eine Abtreibung vorgenommen hatte. Sie hat so geweint und geschrien. Ich habe immer noch ihr Bild vor Augen: das war eine große Frau mit großen Brüsten, halbnackt hat sie dort gelegen, geweint und geschrien: "Daisy, mein Herz geht aufs Eis!"

Sobald es dunkel war, durften wir die Baracke nicht mehr verlassen. Wer austreten musste, musste es einfach laufen lassen. Die Toilette war eine Latrine mit 60 Löchern. Man musste sich an all diese Dinge anpassen, sonst kam man ins Himmelskommando.

Morgens um 4.00 Uhr weckten uns die Funktionshäftlinge mit Geschrei. Sie riefen: "Aufstehen! Kaffee holen!" Der Kaffee war aus Brennnesseln gemacht. Wir haben ihn getrunken, dann folgte der Zählappell um 5.00 Uhr und danach ging es zur Arbeit, d.h. es folgte der Ausmarsch aus dem Lager in verschiedene Arbeitsorte. Meine erste Arbeit war das Brennnesselpflücken, selbstverständlich ohne Handschuhe. Meine Hände haben geblutet und waren geschwollen. Die Aufseherin dieses Kommandos war Irma Grese, die Hexe. Sie hatte einen Hund, den sie immer wieder auf uns hetzte. Sie stellte sich mit einem ihrer glänzenden Stiefel in unsere Körbe, waren sie nicht voll gepflückt, schlug sie uns ins Gesicht.

Nach meiner Befreiung, Ende 1945, kurz nachdem ich nach Palästina gekommen bin, habe ich einen Brief voller Hass und Rachedurst geschrieben, in dem ich schilderte, was Irma Grese uns angetan hat. Das könnte ich heute nicht mehr. Aber es wäre nicht normal gewesen, hätte ich nach meiner Befreiung schon so human gedacht. Ich sollte damals, 1945, zum Gerichtsverfahren gegen sie nach Lüneburg fahren, aber Palästina war zu dieser Zeit unter englischem Protektorat und ich habe kein Visum bekommen. Dann veröffentlichte ich diesen Brief. Es hat einfach in mir gebrannt, ich musste das tun. Irma Grese wurde nach dem Krieg erhängt.

Nach dem Kräuter-Kommando wurde ich ins Kartoffel-Kommando geschickt. Wir mussten zu zweit 50 Kilogramm Kartoffeln tragen. Als ich in diesem Kommando war, habe ich an einem Tag meine Cousine Alunia auf der Lagerstraße getroffen. Sie ist mein Schutzengel gewesen. Sie war mit einem Arzt verheiratet, der in Radom im Gefängnis ermordet worden war. Sie hatte zwei Kinder: die 11-jährige Tochter Marta und den 8-jährigen Sohn Michaś. Als meine Cousine nach Auschwitz verschleppt wurde, blieben die Kinder bei ihrer Schwester. Im August 1944 kam ein Transport aus Pionki, in dem ihre Schwester und ihre Kinder waren. Alunia hörte zufällig davon. Sie flehte die SS-Ärzte an, dass ihre Kinder ins Lager kommen durften und konnte sie schließlich vor der Selektion in die Gaskammer retten. Sie überlebten alle vier und wanderten 1947 nach Palästina aus. Der Junge ist heute Professor für Chirurgie und das Mädchen Krankenschwester.

Alunia Zaber

Mein Treffen mit Alunia auf der Lagerstraße in Auschwitz war sehr emotional. Sie versprach, mir zu helfen. Sie meldete sich als Krankenschwester. Sie hatte etwas Ahnung von Medizin, obwohl sie keine Krankenschwester war und brachte mich ins Krankenrevier. Dort war ich Scheißeträgerin. Es gab keine Toiletten, sondern nur Töpfe und Kübel. Diese Kübel brachten wir zu zweit in die Latrine. Das war die eine Arbeit. Die andere war, Körper anzufassen und zu prüfen, ob sie warm oder kalt waren. Waren sie kalt, nahmen wir sie zu zweit von den Pritschen. Neun Monate habe ich im Revier gearbeitet. Dort bekam ich Typhus und wurde schrecklich krank. 16 Tage lang hatte ich 40 Grad Fieber, erhielt aber keine Medikamente. Dann bekam ich Krätze, und wer Krätze hatte, musste darauf gefasst sein, dass Dr. Mengele ihn in den Tod schickte. Er trug weiße Handschuhe und zeigte nur mit dem Finger auf die, die ermordet werden sollten.

Ich erinnere mich an die Selektion am 10. Januar 1944. Wir mussten uns nackt anstellen, und meine Kolleginnen sagten: "Stell dich doch an!" Ich sagte: "Nein, das mache ich nicht, weil ich nicht zurückkommen würde." Ich stand da, einem Offizier namens Heßler gegenüber. Er lächelte freundlich: "Fräulein", sagte er und nicht etwa Drecksau oder elende Mistbiene oder etwas in diesem Ton. Er siezte mich und fragte: "Was machen Sie da?" Ich sagte: "Ich hatte Typhus und habe die Krise überstanden. "Darf ich zurück ins Bett?" Und er hat es mir erlaubt. Mein Körper war noch voller Wunden von der Krätze. Ich deckte mich zu, dass nur noch das Gesicht zu sehen war. Im Gesicht hatte ich keine Krätzewunden. Mir hat dieser Offizier also geholfen, andere schickte er in die Gaskammer. Das war noch ein kritischer Moment zwischen Leben und Tod.

Die deutschen Ärzte haben meine Cousine Alunia geliebt. Sie war eine sehr schöne Frau mit viel Charme. Sie besorgte mir Medizin gegen die Krätze und brachte mir jeden Tag einen Apfel, damit ich kräftig werde. Sie bekam die Äpfel von nichtjüdischen Häftlingen, die von zu Hause Pakete erhalten hatten. Darin waren auch Früchte. Ein Apfel war in Auschwitz mehr als 10 000 Dollar wert. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, einen Apfel in dieser Zeit des großen Hungers zu bekommen. Er symbolisierte die Fürsorge, die Menschenliebe und den Altruismus. Der Apfel besaß den Geschmack der Freiheit und gab Hoffnung, dass er vielleicht irgendwann in Fülle zugänglich sein wird. Nach jedem Biss wollte ich möglichst lang den Geschmack im Mund behalten und fühlen, wie die Kraft in meinen gequälten und erschöpften Körper zurückkehrt. Deshalb sind Äpfel für mich bis heute etwas Besonderes. Deshalb erfreute mich auch der Anblick eines Apfelbaumes hier in Frankfurt an der Oder so sehr. Die Äste mit den vielen Äpfeln lächelten mich an.

Aber zurück nach Auschwitz. Ich wurde wieder gesund und nun stellte sich die Frage, wo ich arbeiten sollte. Ich musste essen, und im Krankenrevier gab es wenig zu essen. Im Frühling 1944 wurde ein neues Kommando eingerichtet - die Effektenkammer. Wir nannten es Kanada-Kommando, weil Kanada für uns ein Land im Überfluss war und in diesem Kommando gab es von allen Gütern - hauptsächlich Kleidern und Essen - sehr viel. Die Effektenkammer wurde nämlich wegen der vielen Transporte vor allem aus Ungarn und auch aus Łódź gegründet. Meine Aufgabe war nun, die Habseligkeiten der Ankommenden zu sortieren - Pelze, Gold, Brillanten, Wäsche. Diese Habseligkeiten der ermordeten Juden wurden dann nach Deutschland geschickt. In der Effektenkammer habe ich neun Monate gearbeitet. Ich hatte zu essen und auch meine Haare wuchsen wieder. Ich bekam sogar Locken. Es war eine Arbeit im Trockenen, eine der besten Lagerpositionen, die ein Häftling bekommen konnte. Wir konnten oft für uns selbst und andere heimlich Kleidungsstücke und Konserven organisieren. Diese Arbeit war aber sehr, sehr traurig. Die Effektenkammer lag in unmittelbarer Nähe zur Gaskammer und so sahen wir täglich Tausende von Frauen, Männern und Kindern vorbeilaufen, die zum Tod gingen, wir hörten ihre Schreie. In den Kleidungsstücken habe ich Fotos meiner Lehrerinnen gefunden, die nach der Aussiedlung von Łódź nach Auschwitz gekommen waren. Immer, wenn ich ein Kleidungsstück in die Hand nahm, überlegte ich, wer es wohl getragen hatte. Es waren teilweise sehr hübsche, bestickte Sachen, auch mit Spitze. Wenn ein Stück besonders schön war, haben wir Sabotage gemacht und es zerschnitten. Aber Gott behüte, wenn das jemand gesehen hätte.

Oft half uns nur schwarzer Humor, mit dieser Situation umzugehen. Wir erzählten uns makabre Witze wie: "Wenn wir befreit werden, bist du Waschpulver und ich Seife."

Ich, die Meschuggene - dieses jüdische Wort existiert auch in der deutschen Sprache und bedeutet Verrückte - habe in Auschwitz Gedichte gelernt, die Häftlinge verfasst hatten. Die Lieder und Gedichte sind von einem Lager ins andere gewandert. Das Buchenwald-Lied kenne ich bis heute auswendig:

Wenn der Tag erwacht, eh' die Sonne lacht,
die Kolonnen zieh'n in des Tages Müh'n
hinaus in den grauenden Morgen
und die Nacht ist so kurz und der Tag so lang
und ein Lied erklang, das die Heimat sang
und wir lassen den Mut uns nicht rauben.
Nun halt' Schritt, Kamerad, und verlier' nicht den Mut,
denn wir haben den Willen zum Leben im Blut
und im Herzen, im Herzen den Glauben.
Oh Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen,
weil du mein Schicksal bist.
Wer dich erlebt, der kann es erst ermessen,
wie wundervoll die Freiheit ist.
Oh Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
denn was immer uns're Zukunft sei,
wir wollen "ja" zum Leben sagen,
denn einmal kommt der Tag und wir sind frei.

Das hat uns ermuntert und uns Kraft gegeben. Krystyna Żywulska, meine Kommilitonin in der Effektenkammer, hat 1944 ein Gedicht Wymarsz (Ausmarsch) geschrieben, das war unser Gebet. Das polnische Original des Gedichtes befindet sich in Żywulskas Buch Przeżyłam Oświęcim (Ich habe Auschwitz überlebt). Sie selbst hat dieses Gedicht auch ins Deutsche übertragen. Ich besitze aber nur die polnische Fassung:

Wymarsz

O wschodzie słońca ruch pod bramami,
nadchodzą władze i posty z psami.
Już się szykują komanda na "aussen",
zaraz rokują - czekają "draussen".

Codzienna farsa się rozpoczyna.
Jak cudnie wije się dym z "komina",
jak fantazyjnie formują się chmury...

Już! Dziesiątkowe! Numerki do góry
i marsz! Przez jedną i drugą bramę,
stare i młode i w ciąż te same,
wysokie, niskie, chude i grube -
znasz trasę przez Blockführerstube...
Przed każdą grupą idą "anweiserki",
ludzie - häftlingi, ludzie - numerki,
buty i trepy, trepy i buty.
Jak uroczyście idą za druty
do beznadziejnej bez sensu pracy
Czesi, Węgierki, Włosi, Polacy...
"Rowy zakopać!" - "Rowy odkopać!"
Uwaga! Za nami jest Europa!

Więc naprzód patrz i wstrzymaj dech
i prosto chodź a nie bądź frech,
gdy chodzisz źle - to nogę zmień,
i przejdzie znowu jeszcze dzień
i przejdzie znowu jeszcze rok...
Zaciśnij pięść i równaj krok.
To nic, że deszcz, to nic że głód,
pokaż, jak lekki jest twój chód,
te już we krwi te karność masz,
odwrócisz się - dostaniesz w twarz...

Więc nie płacz, nie, ani się skarż,
maszeruj ten tragiczny marsz.
Zdław każdą myśl i każdą chęć,
wszystkie po pięć, świat cały po pięć!
Orkiestra Ci wybija takt,
uświadom sobie zwykły fakt,
że słyszysz ciągle ten głuchy dźwięk.
To bęben gra, opanuj lęk,
oberka, patrz! Jak groźny sfinks...

W Dachau, Auschwitzu, w Gusen, Mauthausen,
wszystko za druty, wszystko na "aussen",
na wykończenie idzie się w pole,
z jednej niedoli w drugą niedolę
przez łąki, lasy i krematoria,
o to jest wasza wielka "victoria"!
Czy deszcz, czy błoto aż po kolana,
w błocie jest wasza wielka wygrana,
waszym marzeniem przez długie lata
wozić transporty z całego świata.
O wiemy dobrze, że wy chcecie
świat cały zamknąć w wielkim kacecie
i wmówić już małemu dziecku,
że śmiać się wolno, lecz po niemiecku.
Lecz pamiętajcie - miliony ludzi
co dzień się z jedną myślą budzi...
I maszerując w tej gromadzie
myślisz o innej defiladzie
a w duszy ci radośnie śpiewa
wizja przyszłości - lewa, lewa!

I przyjdzie znów nasz 3-ci maj,
wolności marsz swobody raj
będziemy szli, miliony wdów i morze głów
w takt naszej pieśni - tej bez słów,
bo za ran, ból, udręczeń młyn,
przyjść musi czyn i tylko czyn!
Nadejdzie czas, że za ten marsz
będziemy was - w szarżach, bez szarż
bez serca rżnąć - bez serca prać...
Muzyka też wam będzie grać,
będziecie wyć, że macie dość,
a my na złość a my na złość.
Za tyle skarg, za tyle krwi
wy zapłacicie - tylko wy!
Za tyle cierpień, tyle rózg,
w serca wam nóż a kule w mózg,
za tyle cierpień, tyle skarg
bagnety w pierś, sztylety w kark,
za tyle żalów, cierpień, łez
niech każdy z was zdechnie jak pies!

I żeby już odetchnął świat -
Zatrzemy po was wszelki ślad.
Na wielkim grobie stanie sfinks
i będzie wołał: links, links, links!

Ich wollte lernen, auch wenn ich hungrig war. In Auschwitz hörte ich so viele Sprachen. Ich traf eine Belgierin, die ich ersuchte, mir Französisch beizubringen. Ich lernte ohne Papier und Bleistift und als ich Auschwitz verließ, konnte ich fließend Französisch sprechen. Diese Sprache war die Sprache meiner Hoffnung. Die älteren Damen - die älteste war 30 - haben mich ausgelacht. Sie sagten: "Man wird dich mit deinem Französisch verbrennen." Ich antwortete: "Wenn ich lebe, brauche ich es. Wenn nicht, habe ich zumindest jetzt Freude daran."

Lernen war mir seelisches Bedürfnis und zugleich mein spiritueller Widerstand. Ich musste etwas haben, das mir niemand nehmen konnte, denn man hatte mir alles genommen: die Familie, die Haare, meine erste Uhr... Was ich in mir trug, konnte mir niemand nehmen - und weil es in der Effektenkammer zu essen gab, war mein Kopf dort auch freier für andere Dinge.

Ich erinnere mich an einen Kultursonntag. Sonntags arbeiteten wir nicht, denn die Posten mussten doch auch frei haben. Wir haben ein Theaterstück aufgeführt mit Tänzerinnen, Sängerinnen... Eine Frau erzählte aus dem Gedächtnis ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite, ohne das Buch vor sich zu haben. Wir waren glücklich über ein bisschen Kultur. Eine Tänzerin aus Belgien hatte sich ein Kostüm aus Lumpen gemacht. Dazu sangen Griechinnen. Ich habe sonst in Auschwitz nie geweint, aber das konnte ich nicht aushalten. Das brachte mich zum Weinen.

Die Posten waren sehr interessiert an dem Geschehen. Wir haben auch eine Zeitung gemacht und daraus vorgelesen, sie hieß Kanada-Beobachter. Der Hauptscharführer Hahn nannte mich dann: "Du, Radio London." Es blieb bei der einzigen Ausgabe.

Einen Fluch gibt es, den ich nie benutze. Er heißt: "Du sollst mit Angst leben." Das ist in meinen Augen der schlimmste Fluch, den es gibt.

Ich verbrachte 20 Monate in Auschwitz. Ich blieb dort nicht bis zum Tag der Befreiung, sondern bis zum letzten Tag der Liquidierung des Lagers. Das war am 18. Januar 1945. Man hörte schon die Kanonen der Russen und die Front näherte sich. Meine letzte Arbeit in der Effektenkammer war es, Koffer zu verbrennen. Es sollten keine Spuren bleiben, denn auf den Koffern standen Namen und Adressen ihrer Besitzer. Dass im Museum von Auschwitz heute Koffer zu sehen sind, liegt daran, dass wir keine Zeit mehr hatten, sie alle zu verbrennen.

Dann begann der Todesmarsch. Bei minus 20 Grad mussten wir durch den tiefen Schnee laufen. Wer nicht gehen konnte, bekam eine Kugel in den Kopf. Die Schuhe, in denen ich damals marschierte, habe ich bis heute zu Hause. Das waren gute Skischuhe, die ich aus der Effektenkammer hatte. Drei Tage und drei Nächte waren wir unterwegs bis wir nach Löslau (heute Wodzisław Śląski) kamen. Dort wurden wir auf offene Vieh- und Kohlewaggons geladen und fuhren in ein "neues Paradies" nach Ravensbrück.

Über Ravensbrück wusste ich vorher gar nichts. Es war ein schreckliches Hungerlager. Es gab viele Schläge. In den Baracken war längst kein Platz mehr, so dass für uns ein Zelt aufgestellt wurde. Auch dort war es furchtbar eng. Nach drei oder vier Wochen wurde ich nach Malchow transportiert. Das war ein Außenlager von Ravensbrück. Dort wurden Sprengmaterialien für den Krieg hergestellt. Ich arbeitete dort und blieb bis zur Befreiung. Wir bildeten dort ein Bastelkommando: aus Streifen von Lumpen haben wir Zöpfe geflochten und bekamen dafür sogar eine Suppe aus Wasser und Rüben.

Die Posten und drei Hauptscharführer hatten uns Häftlinge von Auschwitz nach Malchow begleitet. Der Hauptscharführer Hahn bat uns, die Embleme von seiner und den Uniformen der anderen abzutrennen. Dann verschwanden sie.

Wir waren acht Mädchen aus Polen, unter ihnen meine Freundin Yolanta Rotenberg. Schon in Auschwitz freundeten wir uns an und haben uns immer gegenseitig unterstützt. Wir teilten untereinander das Essen, wenn eine von uns eine Möhre oder Brot brachte, auch die Brösel teilten wir untereinander. Es war immer die Frage, wer das Essen teilen soll. Ich wurde Brotschneiderin. Wir bekamen zwei Brote und die Mädchen baten mich, sie zu schneiden. Ich war stolz darauf, dass sie mir so viel Vertrauen entgegenbrachten. Sie haben mir geglaubt, dass ich das Brot gerecht für alle schneiden werde. Und ich habe das auch getan.

Nun mussten wir uns nach der Befreiung trennen. Drei aus unserer Mädchengruppe wollten zurück nach Polen gehen, um nach ihren Familien zu suchen. Wir andere fünf gingen in Richtung Westen. Da kam mir mein Französisch zugute. Ich war die Fahne unserer Gruppe, denn ich sprach Französisch. Das hat mir und uns allen geholfen, als wir nach Belgien gelangten. Die Organisation Joint (American Jewish Joint Distribution Committee) kümmerte sich um uns. Jüdische Familien dort nahmen jeweils eine von uns auf, bis wir eine eigene Wohnung fanden. Ich war sehr eng mit Yolanta befreundet. Wir wollten uns nicht trennen, und sind als letzte geblieben. Da sagte eine Brüsseler Familie, sie würde uns beide aufnehmen. Bei diesen Leuten blieben wir zwei Wochen. Dann gab man uns Geld, damit wir uns eine Wohnung mieten konnten. Ich bekam andere Schuhe, und es wurde Kleidung gesammelt. Ich war drei Monate lang in Belgien und kam mit meinem Französisch sehr gut zurecht. Wenn ich den Menschen erzählte, dass ich es in Auschwitz gelernt hatte, sagten sie, das sei unmöglich. Sie fragten: "Wie konntest du das machen?" Ich konnte es, weil ich es wollte.

Ich hatte Auschwitz mit Tuberkulose verlassen. Ich wog 40 Kilogramm, und das war schon viel. Es gab Häftlinge, die nur 28 Kilogramm wogen - sie waren nur Haut und Knochen. Nicht weit von Brüssel kam ich in ein Sanatorium.

Im Juni 1945 lernte ich meinen späteren Mann Paul Perec Kornweitz kennen. Er war Soldat in der britischen Armee und war in Palästina stationiert gewesen, das damals unter britischem Mandat stand. Er stellte mir und meiner Freundin die Genehmigung aus, nach Palästina einzuwandern. Ich wollte nämlich nicht in Europa bleiben. Ich wollte in einem jüdischen Staat leben. Ich wollte nicht länger Żydówa oder dreckige Jüdin genannt werden. Meine Freundin Yolanta Rotenberg lebt heute als Yael Apel in meiner Nachbarschaft in Holon bei Tel Aviv.

An meinem 20. Geburtstag, am 8. September 1945, kam ich in Palästina an - damals gab es noch keinen jüdischen Staat. Ich kam zunächst in ein Aufnahmelager für Emigranten. Mein Bruder Hersz, der in Palästina lebte, las meinen Namen in der Zeitung und holte mich. Nach dem Kriegsende traf ich außerdem meine Brüder Szajo und Wolf. Szajo konnte in Russland den Krieg überleben und Wolf kämpfte in der polnischen Armee des General Anders.

Meine älteste Schwester Anna wurde in Russland im Rahmen der Barbarossa-Aktion ermordet. Mein Bruder Jonas geriet in das Lemberger Janowska-Lager, wo er als Textilingenieur zunächst als nützlicher Jude, wie auf seiner Armbinde stand, eingesetzt war. Dann wurde er im Lager Janowska in Lemberg ermordet. Seine Frau fand eines Tages zufällig unter den Kleidungsstücken der Ermordeten den Schal, den sie einst ihrem Mann gestrickt hatte. Mein Bruder Mordechaj war mit 21 Jahren in Russland verhungert. Von meiner elfköpfigen Familie kamen insgesamt sieben Personen ums Leben.

Nun fing in Palästina mein neues Leben an. Als erstes habe ich bei einem Privatlehrer Hebräisch gelernt. Eines Tages sagte ich ihm, dass ich kein Geld mehr habe und mit dem Unterricht aufhören müsse. Er sagte: "Nein, du wirst lernen. Du bezahlst, wenn du Geld hast." Er hat mir 47 Stunden gegeben. Ich habe zu Hause noch das Heftchen. Unsere gemeinsame Sprache war Deutsch, weil er aus Deutschland kam. So habe ich mit Hilfe der deutschen Sprache Hebräisch gelernt.

Dann habe ich mich ein Jahr lang auf das Abitur vorbereitet, denn ich wollte studieren. Im Januar 1946 heiratete ich Paul Perec Kornweitz und wir nannten uns Dagan, das ist das hebräische Wort für Getreide. Ich wollte einen Kämpfer heiraten, keinen Überlebenden. Ich wollte nicht, dass wir in der Zukunft zu zweit immer in der Vergangenheit graben. Aber ich habe viel über meine Kriegserlebnisse erzählt. Auf Polnisch, denn am Anfang sprach ich noch kein Hebräisch, und es lebten damals viele Juden aus Polen in Palästina. Am Anfang wohnte ich bei meiner Cousine in Tel Aviv. Ich habe erzählt und erzählt, um diese Vergangenheit los zu werden, um mein Herz frei zu machen, um seelisch gesund zu werden. Das Erzählen war mein inneres Bedürfnis. Ich hatte schreckliche Albträume. Ich berichtete in einem Kibbuz, das ist eine Dorfgemeinschaft, von meiner Vergangenheit. Die Leute konnten nicht glauben, was ich erzählte.

Nach 12 Jahren Ehe ist mein Ehemann am Herzinfarkt gestorben. Meine beiden Söhne Amir und Joram-Israel waren fünf Jahre und vier Monate alt. In dieser Zeit arbeitete ich als Kindergärtnerin. Ich war zunächst in einem Musterkindergarten tätig, in dem Studentinnen Praktika absolvierten. Doch ich wollte weiterlernen. Ich studierte Psychologie. Ich erhielt ein Stipendium des Ministeriums für Erziehung in Israel und studierte an der Universität in Jerusalem und dann in Amerika, im Teacher's College an der Columbia University. Nach dem ersten akademischen Grad habe ich auf zwei Stellen gearbeitet: Ich war Dozentin an dem Lehrstuhl, an dem ich studiert hatte und Chefassistentin in der Kinderabteilung des psychologischen Dienstes in Tel Aviv. Später wurde ich die Nachfolgerin meiner Chefin.

Als Kinderpsychologin arbeitete ich mit verhaltensauffälligen und behinderten Kindern und bildete Lehrer und Psychologen aus. Bis heute arbeite ich ehrenamtlich als Gastdozentin in Collegs und in der Gedenkstätte Yad Vashem. Seit den 90er Jahren arbeitete ich auch viel im Ausland. Von 1981 bis 1983 war ich Erziehungsberaterin in der Monte-Sinai-Schule in Mexico-City. Von 1985 bis 1988 arbeitete ich ebenfalls als Erziehungsberaterin im Zentrum für Jüdische Erziehung (Centre of Jewisch Education) in London. 1991 unterrichtete ich zum Thema Shoah und Hebräisch in Solnečnogorsk in Russland. Im darauf folgenden Jahr führte ich diese Kurse auch in Moskau, Leningrad, Riga und Talin durch. Im Jahre 1996 hielt ich in 12 Städten in Nordamerika und in Canada Vorträge zum Thema Shoah. Seit 1988 leite ich außerdem Werkstätten in England, Amerika und in Deutschland, vor allem zum Thema Shoah. Es gibt nicht viele Überlebende, die wie ich studieren konnten.

Ich spürte, dass ich mich als Überlebende und Psychologin mit pädagogischer Ausbildung mit dem Thema Shoah auseinandersetzen und etwas für kommende Generationen machen musste, gerade für die Kinder. Kinder fragten mich immer wieder, was für eine Nummer ich auf meinem Arm trage, ob das vielleicht eine Telefonnummer sei, die ich ständig vergesse? Ich musste ihnen doch etwas antworten.

Ich habe eine Geschichte geschrieben: Was geschah in der Shoah? - eine Geschichte in Reimen für Kinder, die wissen wollen. Ich möchte sie hier auf Polnisch vorlesen. Auf Deutsch wurde die Geschichte noch nicht veröffentlicht:

Co się wydarzyło w okresie zagłady
Opowieść rymowana dla dzieci, które chcą wiedzieć


Kto z was chciałby wiedzieć, czy duży czy mały
co w czasie zagłady na świecie się działo.
Pragnę opowiedzieć prawdziwe wydarzenia,
żeby je przekazać następnym pokoleniom.
To było kiedyś, przed wieloma laty,
kiedy dziadkowie, rodzice mamy i taty,
byli jeszcze sami bardzo, bardzo mali
lub się nawet jeszcze nie urodzili wcale.
W nazistowskich Niemczech to się wydarzyło
i wiele się jeszcze o tym będzie mówiło.
Żył w tym państwie człowiek okrutny i srogi
od wszystkich innych wrogów najbardziej wrogi.
Był to Adolf Hitler, tak go nazywali.
Przy pomocy siły chciał zdobyć świat cały,
bo wszystkich nienawidził już od wielu lat -
wszystkich, starych, młodych, nawet małe dzieci,
które sobie żyły spokojnie na świecie.
Miał dużo żołnierzy, wielkie siły zbrojne
i postanowił wyruszyć z nimi na wojnę.
A czego on nauczał swoich żołnierzy?
Bicia, palenia, niszczenia, grabieży.
On napadł ze swoją armią na polską krainę
i wiele innych krajów obrócił w ruinę.
Od Żydów kazał zabrać ich srebro i złoto
i wszystkie inne cenne, kosztowne przedmioty.
I nawet rozkazał w swej upornej złości,
zabrać im psy, bo nie miał krzty litości.
Z miast i miasteczek, z ich mieszkań i domów
zapędził wszystkich Żydów do gett ogrodzonych.
A stamtąd rozwoził w zamkniętych wagonach
do specjalnych obozów w rozmaitych stronach.
Mężczyźni, kobiety szli co dzień piechotą
do warsztatów i fabryk na ciężką robotę.
W śniegu i błocie szli głodni, spragnieni
nie do wytrzymania było to cierpienie.
Wiele matek i córek i ojców i synów
zginęło od chorób i od kul karabinów.
Lecz byli młodzieńcy, co odważnie walczyli
przeciw tej nieludzkiej i ogromnej sile.
Między nimi był Perec, młodzian dzielny i zdrowy,
który postanowił nie poddać się wrogowi.
Od czujnej ochrony i od straży Niemców
Perec wymknął się zwinnie i zręcznie.
Uciekł do lasu daleko od bramy
i tam się połączył z partyzantami.
Z nimi razem walczył wspólnie ręka w rękę
odważnie i dzielnie bez strachu, bez lęku.
Również wojska innych krajów powstały
i z okrutnym wrogiem wspólnie wojowały.
Po wielu ciężkich walkach o złączonych siłach
wreszcie ta okropna wojna się skończyła.
We wszystkich obozach wrota otworzono
i więźniowie wyszli na wolność wymarzoną.
A wieść o zwycięstwie radosna, skrzydlata
wnet obleciała wszystkie strony świata.
My life Zaś Hitler złoczyńca ścigany, strwożony
wyzionął ducha w swoim własnym schronie.
I tak to w Berlinie, niemieckiej stolicy,
ten okrutny człowiek zakończył swe życie.
Minęła groza wojny, zgoiły się blizny
i każdy naród wrócił do swojej ojczyzny,
Lecz Perec, którego dom zburzono doszczętnie
swój własny dom mieć zapragnął namiętnie.
To właśnie Perec, dziadek Dawidka
wnuka mojego, szukał dla siebie w życiu miejsca stałego,
a gdy go koledzy i znajomi pytali,
gdzie on takie miejsce sobie znajdzie stałe,
odpowiadał im głosem i sercem gorącym:
"W kraju przodków mlekiem i miodem płynącym"
Ta odpowiedź jest dla wszystkich - mój przyjacielu:
Nowy własny dom zbudować w Izraelu.

Aus dem Hebräischen übersetzte diese Geschichte Szoszana Raczyńska. Ich arbeitete mit Kindern und wusste, dass ich etwas tun muss. Diese gereimte Erzählung habe ich erst nach 40 Jahren ins Reine geschrieben, das war wie eine 40- jährige Schwangerschaft. Alles was ich aufschrieb, habe ich zerrissen. Alles erschien mir schlecht. Eines Tages sagte ich mir, dass ich das doch einmal aufschreiben müsse und wenn es erschienen sein würde, könnte es auch kritisiert werden. Das war der erste literarische Text, den ich zum Thema Shoah für Kinder geschrieben habe.

In dem nächsten Buch mit dem polnischen Titel Chika Piesek w Getcie erwähne ich die Hunde. Diese Erzählung entstand auf der Grundlage der gereimten Geschichte. Das ist eine Erzählung über ein Kind, das einen Hund hat. Nach Erlass der Nürnberger Gesetze durften Juden keine Haustiere mehr besitzen. Keine Vögel, keine Hunde, keine Katzen. Michaś, der Held meiner Erzählung, will seinen Hund nicht weggeben. Die Familie berät, was zu tun ist. Der Vater erinnert sich an die Niania, die Pflegerin des Kindes, Frau Hanusia. Vielleicht würde sie den Hund aufnehmen. Bei Nacht, wenn nur die Sterne und der Mond ihn sehen, bringt der Vater den Hund zu Frau Hanusia. Sie sieht die traurigen Augen des Hundes und sagt zu, ihn zu sich zu nehmen. Hanusia, die Pflegerin, ist ein Symbol für die Gerechten der Welt. Das ist der erste Teil der Erzählung. Im zweiten Teil sehnt sich der Hund nach Michaś und läuft weg, zurück zur Familie des Jungen. Nun hat die Familie wieder ein Problem. Der Vater bringt ihn wieder zu Frau Hanusia. Dieses Mal passt sie auf, dass er nicht wegläuft.

Nun, im dritten Teil, müssen sich alle bei der Polizei melden. Die Aussiedlung beginnt. Aber ich lasse meine Protagonisten nicht fallen. Sie verstecken sich. Michaś fragt jeden Tag: "Wann ist der Krieg zu Ende?" und seine Mami antwortet: "Man weiß nur, wann ein Krieg anfängt, man weiß aber nie, wann er zu Ende ist." Eines Tages hört man: "Rascvetali jabloni i gruši..." - dieses bekannte russische Lied. Die Russen kommen, und der Krieg ist aus. Diese Geschichte spielt sich in Polen ab, ich wollte daher echte historische Realien behalten. Ich konnte doch die geschichtlichen Ereignisse in meiner Erzählung nicht verändern. Michaś weiß nichts vom Kriegsende, er schläft, seine Mutti weckt ihn: "Der Krieg ist vorbei! Steh auf!" Und am Ende... wer läuft zu wem? Michaś zu der Chika und Chika zu Michaś. Und er sagt: "Was für eine treue und kluge Hündin ich habe." Das ist die Erzählung.

Ich habe lange nicht gewusst, für Kinder welchen Alters sie sich am besten eignet. In einem evangelischen Gymnasium in Deutschland habe ich die Geschichte 17-Jährigen auf Deutsch vorgelesen. Die Jugendlichen waren so interessiert und fanden sie spannend. Ich habe sie gefragt, für welches Alter die Erzählung ihrer Meinung nach gut sei. Sie haben gesagt: "Sie eignet sich für alle." Auch in England sind Kinder mit der Geschichte dazu gebracht worden, sich näher mit dem Thema Shoah zu befassen. In der Therapie wird die Erzählung genutzt, weil sie eine zyklische Form hat. Kinder lieben diese Geschichte wahnsinnig, und ich bin sehr froh, dass ich sie geschrieben habe.

Dann habe ich 1997 das Buch "Gesegnet sei die Phantasie - verflucht sei sie!" geschrieben. Im Jahre 2000 habe ich ein weiteres Buch "Wenn Sterne sprechen könnten" beendet. Es ist aber noch nicht erschienen. Die Widmung wird lauten: "Gewidmet der Alunia, meinem Schutzengel in Auschwitz, ein Vorbild von Liebe und Sorge in der Welt des Bösen." Darin erzähle ich die Geschichte meiner Cousine.

Frau Dagan zeigt Schülern ihr Buch "Gesegnet sei die Phantasie..."

Manchmal sagten mir die Lehrer: "Wir können den Kindern doch kein schlechtes Beispiel zeigen!" Aber wie können Kinder lernen, zwischen Gutem und Schlechtem zu unterscheiden? Man muss beides zeigen: das Böse und das Gute. Man muss das Böse verurteilen und das Gute als Identifizierungsmodell anbieten. Eine Lehrerin in meinem Wohnort in Israel hat mich zu einem Projekt mit sechsjährigen Schülern eingeladen. Ich habe ihnen aus meinen beiden Büchern vorgelesen. Es war ein großes Erlebnis, zu beobachten, wie gut die Kinder das verstanden haben. Sie haben in Gruppen gearbeitet und sich mit der Geschichte auseinandergesetzt. Eine Gruppe stellte der anderen die Ergebnisse ihrer Gespräche vor. Es war außergewöhnlich schön.

Als nächstes habe ich ein Buch über die Symbole der Shoah geschrieben. Über den Judenstern, über das Ghetto, die Kerzen, die Sirenen, die am Gedenktag zwei Minuten lang erschallen. Das Buch gibt es zurzeit nur auf Hebräisch und es heißt ins Deutsche übersetzt Heute weinte mir die Sirene. Darin steht z.B. auch das Gedicht Frohe Kerzen, traurige Kerzen - so klingt der Titel auf Deutsch.

In England reifte mein berufliches Credo, wie man das Thema Shoah den Kindern näher bringen könne. Dieses Credo habe ich in meinen Büchern wiedergegeben. Wichtig ist, dass die Kinder nicht die Gräuel als erstes erfahren. Manchmal erfahren sie aber solche Sachen z.B. aus dem Fernsehen, kommen dann zur Schule und sagen: "Ich habe im Fernsehen einen Wagen mit Knochen gesehen. Waren das Menschenknochen?" Ich berate die Lehrer und Erzieher, wenn sie mir solche Situationen erzählen, wie sie sich verhalten sollen. Man muss da sagen: "Ja, ich habe das auch gesehen, und ich bin so traurig wie du." Und man muss mit dem Kind sprechen und auch den Eltern sagen, dass das Kind auf diese Bilder reagiert hat. Es gibt so viele Episoden, über das Lernen und Leben im Versteck, wie z.B. die Episode mit dem Hund, die ich gewählt habe. Es gibt sehr viele Themen. Die Shoah steht im Hintergrund und die Handlung ist vor allem wichtig. Und das Böse. Man muss den Kindern sagen, dass es einen Krieg gab. Man muss ihnen sagen, dass sich die Deutschen für die Besten auf der Welt hielten und die Juden, die Polen, die Menschen aus vielen anderen Ländern unterdrückt haben. Das müssen die Kinder wissen. Und ich schenke meinen Zuhörern immer ein Wort: "Aber - Aber, es gab auch gute Menschen!" Damit richte ich ihre Aufmerksamkeit auf das Gute. Das Böse tritt in den Hintergrund. So sehe ich das.

Selbstverständlich sehe ich den Unterricht wie eine Folge von Stufen. Chika ist die erste kleine Stufe, dann die jüdischen Feste, jedes Fest hat seine Geschichte. Die Kinder wollen wissen, woher das kommt. Als nächstes kommt die Geschichte Was geschah in der Shoah? Eine Geschichte für Kinder, die wissen wollen. Danach lesen die Kinder das Buch Wenn Sterne sprechen könnten in der Grundschule und im Gymnasium. Dieses Buch ist auch für die Grundschule und teilweise auch für den Kindergarten geeignet. Ich will den Kindern vermitteln, was das alles bedeutet und zwar auf eine einfache Weise.

Sie sind nicht dabei

Wer ist auf diesem Bild?
Ein kleiner Junge, ein kleines Mädchen.
Der Junge ist traurig, das Mädchen ist traurig.
Warum? Wer hat die Antwort?
Da gibt es keine Mutter, keinen Vater,
keine Oma und keinen Opa.
Warum sind sie nicht bei den Kindern?
Warum sind sie nicht zusammen?
Der Junge ist traurig, das Mädchen ist traurig.
Warum? Habt Ihr eine Antwort?

Das ist die Einführung ins Thema. Nach meiner Erfahrung reagieren Kinder darauf, indem sie alle Geheimnisse von zu Hause erzählen.

Es vergingen 30 Jahre bis ich mich entschieden habe, wieder auf den deutschen Boden zu treten. Meine Söhne waren damals darüber sehr erstaunt, dass ich nach Deutschland fahren wollte. Beinahe in jeder Schülergruppe in Deutschland werde ich gefragt, warum ich in dieses Land gekommen bin. Meine Antwort ist: "Ich will die Kette des Hasses brechen." In Deutschland leben die zweite und dritte Generation nach der Shoah. Wir müssen die Jugend für ein anderes, gutes Deutschland erziehen. In der Erziehung sehe ich den Schlüssel für eine bessere Zukunft. Deshalb bin ich da. Das ist auch mein Sieg. Ich habe in diesem Land mit Angst gelebt. Jetzt bin ich ein freier Mensch.

Ich freue mich, dass ich studiert habe, und andere an meinem Wissen teilhaben lassen kann.

Frau Dagan vor dem Collegium Polonicum, September 2006